Zu Jesper Juuls Weggang

Jesper Juul ist von uns gegangen und viele Eltern trauern um diesen Mann, der ihnen mit seinem Rat, seinem Wissen und seiner Lebensweisheit mit Herz und Verstand beigestanden ist.

 

Jesper Juuls Bücher sind mir das erste Mal begegnet als mein erster Sohn zwei Jahre alt war und rebelliert hat wo er konnte und ich in ziemliche Not als Mutter geriet. Damals habe ich einen ersten grundlegenden Denkfehler aufdecken können – mein Sohn verhält sich nicht so, um mir das Leben schwer zu machen, er tut es, weil er mir nur so mitteilen kann, dass es für ihn nicht stimmt und er eine andere Führung braucht, um kooperieren zu können. Schon damals spürte ich, dass ich einer tieferen Wahrheit begegnet war und ich diesen Weg der Gleichwürdigkeit unbedingt gehen möchte. Doch es sollte noch ein paar Jahre dauern und heftige Aggressionsausbrüche mit fliegenden Tellern und Stühlen bis ich Gott sei Dank eine Familylab Seminarleiterin fand, die Jesper Juuls Wissen greifbar machte und ich es so endlich im Konkreten anwenden konnte. Das war vor bald 3 Jahren und während ich vorher Sätze hörte wie «Ich wünschte Du wärst tot.» oder «Ich bin nicht mehr Dein Kind.» bekomme ich heute eine Muttertagskarte mit «Ich liebe Dich» drauf oder Entschuldigungszettelchen mit Herzchen. Die Konflikte sind nicht verschwunden, aber sie sind weniger geworden und was am Wichtigsten ist, sie beschädigen nicht mehr länger unsere Beziehung. Wir haben einen Boden, der trägt. Das verdanke ich also Jesper Juul und seiner Arbeit, die mich so tief berührt und inspiriert.

 

Doch ich merke, dass ist nicht der Grund der Trauer, die ich empfinde grad. Der Teil, der wirklich trauert ist mein inneres Kind. Mit Jesper Juul ist einer der wenigen Menschen gegangen, die sich für Kinder einsetzen und zwar mit Leib und Seele. Jesper Juuls Bücher haben mir immer wieder Gelegenheit geboten mich selbst besser zu verstehen, zu verstehen wie und warum die traumatischen Erfahrungen meiner gewaltgeprägten Kindheit mich nach wie vor beeinflussen. Ich kenne keinen Pädagogen, der so bedingungslos konsequent die Integrität des Kindes schützt. Und dafür liebe ich Jesper Juul.

 

Das hatte ich mir als Kind, als junge Heranwachsende so gewünscht. Jemand, der mich als Mensch und Wesen wahrnimmt und sich wirklich für mich interessiert.

 

Jesper Juul zeigte immer wieder Zivilcourage, er erhob die Stimme für jene, die sich am wenigsten schützen können – unsere Kinder. Und ein Stück weit hat er damit meine kaputte innere Kindheitswelt wieder etwas heiler gemacht, denn es schenkt Hoffnung, wenn es Menschen gibt, die sich einsetzen und verstehen, was es wirklich braucht.

 

Und so hinterlässt Jesper Juul eine wirklich riesige Lücke – für die Eltern, aber vor allem für die Kinder und Jugendlichen, für die er sich mit all seinem Herzblut eingesetzt hat. Und ich wünsche mir von Herzen, dass seine Arbeit weiterlebt, blüht, sich weiterentwickelt und den Weg in unendlich viele Herzen finden möge, damit Gleichwürdigkeit kein Traum für Wenige bleibt, sondern Realität für Alle wird.